Zum 200. Geburtsjahr von Richard Wagner (1813-1883)
01.01.2013 • Der Autor dieses
Beitrages war innerhalb der „freiwirtschaftlichen Gemeinschaft“, die
sich mit der Neuordnung der bis heute weltweit im Argen liegenden
Sozialstrukturen gründlich beschäftigt hat, geistig führend tätig und
hat den folgenden Beitrag bereits 1976 verfasst. Die von ihm
eingenommene Perspektive baut zahlreiche Brücken zu dem von Leobrand
konzipierten NATURSOZIALISMUS und zeigt in vielen Prinzipien Analogien zu Silvio Gesells FREIWIRTSCHAFTSLEHRE.
Willy Hess (1906-1997, Schweizer Musikwissenschaftler und Komponist)
interpretiert den wahrlich großen Künstler, weisen Philosophen und in
vielerlei Hinsicht erkennbaren ‚Meister’ Richard Wagner in einer
sachlichen Darstellung. (- wr -)
"RICHARD WAGNER und SILVIO GESELL,
zwei Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und menschliche Hochziele“
von Willy Hess
(Schweizer Musikwissenschaftler und Komponist, 1906-1997)
Richard Wagner
Silvio Gesells „natürliche Wirtschaftsordnung“
In vielen festlichen Veranstaltungen,
Vorträgen und Abhandlungen wird heute das Lebenswerk von Silvio Gesell
(1862-1930) anlässlich seines 50. Todestages gefeiert und gewürdigt.
Und dies mit vollstem Recht. Denn seine Reformen des Geld- und
Bodenwesens beseitigen einen uralten Fluch der Menschheit und schaffen
Zustände, in welchen ein glücklicheres und höherstehendes
Menschengeschlecht heranwachsen kann als heute in unserer unseligen
Gegenwart, wo ein allgemeiner Atomtod oder die Geißel des Kommunismus
als grausige Drohung über uns schweben und jene verzweiflungsvolle
Seelenverfassung zeugen, der heute so viele Jugendliche erliegen und die
jedes Zukunftshoffen zu ersticken droht. Ohne Hoffnung aber keine
Arbeitsfreude, keine Tatkraft, kein Wille und keine Entschlossenheit,
gegen üble Neigungen zu kämpfen, an sich zu arbeiten. Gesell setzt über
sein Hauptwerk, die natürliche Wirtschaftsordnung, das schöne Motto
„Großes Hoffen gibt große Ruh". Und dieses Hoffen fehlt heute so
unendlich vielen Menschen.
Analogien zu Richard Wagners menschenwürdigeren Zukunftszielen
Heute möchte ich nun zu Ihnen nicht in
erster Linie über Silvio Gesell sprechen, dessen Ideen Sie ja alle
kennen, sondern über einen der Größten im Reiche der Kunst, der die
Ziele und Gedankengänge Gesells im rein Ideellen und Grundsätzlichen
bereits ein Menschenalter vor jenem mit der ganzen Leidenschaftlichkeit
des Künstlers vertrat. Ich meine Richard Wagner. Was Wagner als
leuchtendes Menschheitsziel vorschwebte und was er in seinen Spätwerken
in künstlerischer Form ausführte, das hat Gesell in die Realität
volkswirtschaftlicher Erkenntnisse und in Reformvorschlägen verdichtet,
so dass Wagners Zukunftsvisionen menschenwürdigerer Zustände nun nicht
mehr bloße Visionen sein müssen, sondern zu klar umschriebenen
menschlichen Hochzielen werden, die sich durchaus verwirklichen lassen.
Verehrte Anwesende! Dass Künstler sich
mit sozialen Fragen beschäftigen, ist keineswegs so selten, wie man oft
annimmt. Die Kunst steht und fällt ja mit den kulturellen Zuständen
einer Zeit, die ihrerseits sehr stark von den sozialen Zuständen
abhängen, welche oft eingreifend ein Künstlerschicksal prägen. Gewiss,
Komponisten wie beispielsweise Mozart und Schubert lebten so
ausschließlich ihrem künstlerischen Schaffen, hatten zudem ein derart
kurzes Erdendasein, dass für etwas anderes als das Komponieren einfach
keine Zeit mehr blieb. Aber schon Robert Schumann hat sich in seinen
zahlreichen Schriften mit allen möglichen Fragen des Lebens
auseinandergesetzt, ebenso Franz Liszt, Hector Berlioz und viele andere.
Eine eigentliche Kämpfernatur war Hans Pfitzner, der neben dem Kampf um
die Reinhaltung der Musik ein unglaublich stark ausgeprägtes
Gerechtigkeitsgefühl hatte und ein ungesühntes Unrecht nie verwinden
konnte.
Richard Wagner – ein universeller Geist
Keiner aber war ein so universeller
Geist wie Richard Wagner. Wohl stand auch bei ihm das künstlerische
Schaffen im Mittelpunkt, aber seine Kunst, seine Musikdramen spinnen
Fäden nach allen nur denkbaren Lebensgebieten. Und wohl intensiver als
je ein anderer Künstler beschäftigte er sich mit der ungelösten sozialen
Frage und kam zu Schlüssen und Überlegungen, ja, zu Aussprüchen, die
geradezu wörtlich von Silvio Gesell stammen könnten. Dabei wollen wir
uns klar darüber sein, dass man solche Vergleiche sehr behutsam und
vorsichtig anstellen muss, denn nur zu gern wird der Wunsch der Vater
des Gedankens. Für uns Freiwirtschaftler ist es immer eine Freude,
Gesell'sches Gedankengut bei anderen großen Geistern zu finden, aber man
darf nicht der Versuchung erliegen, dort Übereinstimmungen zu
konstruieren, wo in Tat und Wahrheit Verschiedenheiten walten.
Wagner war Künstler, Künstler durch und
durch. Gerade mit der Leidenschaftlichkeit des Künstlers, mit der
überreichen Phantasie des schaffenden Meisters hat er oft die Dinge
übertrieben, war bald zu optimistisch, bald zu schwarzseherisch und tat
in der Stimmung des Augenblicks oft Aussprüche, die man nicht wörtlich
nehmen darf. Indessen, war das bei Silvio Gesell nicht ganz ähnlich?
Glich nicht auch er verblüffend dem schaffenden Künstler, der in der
Begeisterung des Augenblickes übers Ziel hinausschießt, Aussprüche tut
und überspitzte Formulierungen gebraucht, die, wörtlich genommen,
Kopfschütteln verursachen? Wohl war Gesell Kaufmann, Mann der Praxis,
Rechner, klar beobachtender Kopf. Aber oft brach auch bei ihm die
Begeisterung des schöpferischen Menschen hervor, und in dieser
Begeisterung glich er ganz dem Künstler, der Idealbilder und
Zukunftsvisionen in seiner Seele schaut, die dem praktischen
Alltagsmenschen als Utopien, als nie zu verwirklichende Wunschgebilde
erscheinen mögen. Wie sagte aber einst Gustav von Bunge, der Pionier der
wissenschaftlich fundierten Abstinenzbewegung? „Die Utopien von heute sind die Selbstverständlichkeiten von morgen". Wir
täten gut daran, solche Zukunftsvisionen schöpferischer Geister etwas
ernster zu nehmen, statt sie zu belächeln. Denn ein echter Künstler
schaut oft tiefer hinter die Dinge und erfasst ein größeres Stück
Wahrheit als ein kühl rechnender Durchschnittsmensch.
Wagner ging es wie Silvio Gesell ums
Ganze. Er ersehnte eine Zukunftsmenschheit, frei von sozialer Not, frei
von Lastern, eine Menschheit, die im Tier den Bruder sieht und jegliche
Tierquälerei vor allem die Vivisektion und das Schächten verdammt und
unmöglich macht. Gesell lebte aus Gründen der Tierliebe jahrzehntelang
vegetarisch; Wagner erstrebte diese Lebensweise ebenfalls, wurde aber
von kurzsichtigen Ärzten daran gehindert. Lilli Lehmann, eine der
größten Wagnersängerinnen und mit dem Meister innig befreundet, schreibt
in ihren Memoiren, Wagner hätte bestimmt länger leben können, wenn er
da nicht auf die Ärzte gehört hätte.
Typisch auch die innige
Naturverbundenheit beider. Wir kennen Gesells Liebe zur einsamen
unberührten Natur, zu seiner Insel im La Plata-Strom in Argentinien, auf
die er sich oft zurückzog, um allein zu sein mit Tieren und Blumen.
Später war er ja längere Zeit Bauer im Neuenburger Jura, in Les
Hauts-Geneveys. Auch Richard Wagner ersehnte sich Zeit seines Lebens ein
Haus im Grünen, fern vom „Pesthauch der Industriestädte". Mehr als
einmal sprach er davon, Bauer zu werden und dem ganzen scheußlichen
Musik- und Opernbetrieb seiner Zeit den Rücken zu kehren. Auch seine
künstlerische Sendung trieb ihn immer wieder zurück in die
Öffentlichkeit, so, wie Gesell einst wehmütig ausrief: „Ade, Matten, Tannen und Kühe! Jetzt geht es wieder in den Dienst des verfluchten Proletariats."
Hauptsächlich um dieses Vortrages willen
habe ich wieder einmal Wagners Gesammelte Schriften durchgelesen, 16
dickleibige Bände. Und, ohne Wagner etwas zu unterschieben, darf ich
behaupten, dass das Problem der ungelösten sozialen Frage bei ihm
wirklich im Mittelpunkt steht. Wohl vermochte Wagner zur Lösung dieser
Frage keinen realen gangbaren Weg aufzuzeigen, aber er fühlte, ja, er
war zutiefst davon überzeugt, dass von der Lösung dieser Frage das
zukünftige Schicksal der Menschheit abhängt.
Wenige Jahre vor seinem Tod schrieb er:
„Wenn die Menschen nicht
begreifen, wie sie den alten barbarischen Missständen vorbeugen sollen,
wird die Geschichte noch einmal von vorn anzufangen haben, um uns von
neuem und noch kräftiger zu belehren". Sind wir uns klar darüber,
was damit im Grunde ausgesagt ist? Wie ernst es Wagner war, zeigt sein
mehrfach getaner Ausspruch, er würde mit Freuden sein ganzes Lebenswerk
vernichten, wenn er hoffen könnte, dadurch Freiheit und Gerechtigkeit
unter den Menschen zu fördern.
Wagners Voraussage – Degeneration Europas
Wagner sagte sogar den Untergang Europas
um die Mitte des 20. Jahrhunderts voraus, falls es bis dahin nicht
gelingen würde, die sozialen Zustände radikal zu ändern. Wenn wir an das
drohende Gespenst eines allgemeinen Atomtodes denken oder an das nicht
minder drohende Gespenst des Kommunismus, an die Blindheit des
Bürgertums, welches die Notwendigkeit der Gesell'schen Reform nicht
einsehen will und an die Sturheit, mit welcher die Sozialdemokraten noch
immer an dem längst durch Theorie und Praxis widerlegten Marxismus
festhalten, – ja, verehrte Anwesende, dann scheint es wirklich, Wagner
habe mit seiner düsteren Voraussage recht gehabt. Der Westen eilt seinem
Untergang mit Riesenschritten entgegen.
Erhoffte sich Wagner in jugendlichem
Ungestüm eine Lösung der sozialen Frage durch die Dresdener Revolution
1849, so glaubte er in späteren Jahren mehr und mehr an eine Veredelung
des Menschen durch die Kunst. In diesem Sinne erbaute er sich sein
einsam dastehendes Bühnenfestspielhaus in Bayreuth, in welchem er im
August 1876 seinen gewaltigen Ring des Nibelungen und 1882 seinen Parzival
zur Uraufführung brachte. In diesem seinem Theater gedachte er, der
Welt seine Werke rein und unverfälscht vorzuführen, nicht zu abendlicher
Unterhaltung nach des Tages Mühen, sondern im Sinne schöner, ernster,
die Menschen ethisch veredelnder und erhebender Festspiele. Für ihn war
die Kunst eines der mächtigsten Mittel zur Beeinflussung von Seele und
Charakter der Menschen, im guten wie im schlimmen Sinne. Unedle, seichte
Kunst war für ihn ein seelisches Gift, welches den Menschen herabzieht
und recht eigentlich seelisch beschmutzt. Und er erkannte, dass die
heutigen sozialen und politischen Zustände eine lediglich auf
Unterhaltung und Betäubung ausgerichtete Unterhaltungskunst geradezu
bedingen. „Eine wirkliche wahrhafte Kunst gibt es erst, wenn es keine Politik mehr gibt", rief er einst fast verzweifelt aus.
Wagners Suche nach sozialer Gerechtigkeit
Ich will Ihnen nur anhand von
Aussprüchen Wagners zeigen, wie geradezu verblüffend viele Ansichten des
Meisters sich mit solchen Gesells decken. Am Schlusse meines Vortrages
gebe ich Ihnen einen Überblick über die Handlung vom
Ring des Nibelungen, diesem
laut Bernard Shaw gewaltigsten sozialen Dramas, das wie keine zweite
Dichtung der Weltliteratur den Fluch des Goldes und des Machtgedankens
geißelt und eine Welt untergehen lässt, die diesem Fluche verfallen ist.
Da lesen wir: „Das Eigentum als
unantastbarer Besitz kann nur dann Bedingung für das Bestehen einer
sittlichen Gesellschaft sein, wenn allen Menschen Eigentum ermöglicht
wird. So verteilten die Eroberer früherer Zeiten das Land unter sich,
schlossen jedoch die früheren Besitzer davon aus. Dadurch entstanden
immer wieder soziale Unruhen, Aufstände etc., und die herrschende Klasse
nahm dies als ein notwendig Gegebenes an und lügte zusammen, was sie
konnte". Wir denken da unwillkürlich an Nordirland, wo eine kleine
englische Oberschicht ausgedehnte Ländereien besitzt und die große Masse
der Iren in Armut hält. Gesells Freiland wäre da die Lösung.
Wagner stellt weiter fest: „Der
Gegensatz zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden wird immer größer.
Weise Staatsmänner versuchen, den Nichtbesitzenden ein Interesse am
Bestehen des Besitzes überhaupt einzureden. Indessen geht die
Unterdrückung leichter und ist schneller wirksam". Wir können hier an
Gottfried Keller erinnern, der für die nächste Zukunft ein für die
Schweiz unheilvolles Zusammenballen der großen Vermögen voraussagte, als
Folge eines zinstragenden und damit die Dividendenwirtschaft
ermöglichenden Geldes.
Ich zitiere weiter Wagner: „Der
Staat hat nur die eine Sorge, dass es nie anders werde. Er gibt Gesetze
und vermehrt die Armeen, um die Ungerechtigkeit gegen üble Folgen zu
sichern. Staat und Kirche haben sich der Schule bemächtigt: welches das
größere Unheil ist, bleibe dahingestellt". Wiederum denken wir hier
an Gesells Forderung einer Trennung von Kirche und Schule vom Staat,
sowie eines Abbaues des letzteren. Wagner: „Unsere im Dienste des
modernen Staates gewonnene Weisheit hat gänzlich zu schweigen, da Staat
und Kirche nur als abschreckend warnende Beispiele belehren können. Wir
müssen das Reinmenschliche mit dem ewig Natürlichen in harmonischer
Übereinstimmung halten". Also, Gesells Forderung nach Freiheit des
Individuums und einem Gelde, das der menschlichen Natur angepasst ist
und den Selbsterhaltungstrieb zum Segen statt zum Fluch der
Allgemeinheit sich auswirken lässt.
Wagner: „Es war der große Irrtum der
Menschheit, Gesetze zu schaffen, welche den materiellen Besitz, nicht
aber das Wesen der menschlichen Natur in ihrer Freiheit beschützen. Die
einzig wirkliche Sünde ist die Vergewaltigung der menschlichen Natur
durch willkürliche Vorschriften. Nur der absolut Freie ist glücklich.
Frei sein heißt aber, sich selber leben, sein innerstes Wesen leben ohne
Zwang von außen. Nur der Mensch ist frei, der das ist, was er sein kann
und daher sein muss. Wer einer äußeren Notwendigkeit folgt, ist unfrei,
unglücklich, Sklave". Und ein andermal: „Das einzige, worauf
der Mensch stolz sein kann, ist die Freiheit des Geistes, das einzige,
das ihn über das Tier erhebt. Ihm diese Freiheit verkürzen oder nehmen,
ist ärger noch als ihn kastrieren".
Die wahren Grenzen der Freiheit
All diese Aussprüche könnten in ihrer
kompromisslosen Formulierung von Silvio Gesell stammen, der ebenfalls
die Freiheit der Persönlichkeit über alles stellte. Dabei bleiben wir
uns bewusst, dass Goethes Ausspruch „Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben“
ebenso in der Kunst wie im Leben gilt. Freiheit darf nicht verwechselt
werden mit Willkür, und die Freiheit des einen endet dort, wo sie in die
Freiheit des Nächsten eingreift. Darin liegen die Grenzen einer wahren
Freiheit. Das wussten im Grunde beide, Wagner wie Gesell. Und wenn
Wagner des Weiteren ausführt, was die Menschen heute sind, sind sie
nicht für ewig, und von einem herrlichen, ja göttlichen Geschlecht der
Zukunft träumt, so ist er wiederum eins mit Gesell, der in seinem Aufstieg des Abendlandes ein ebenso herrliches Zukunftsbild zeichnet.
Wagner fährt wörtlich weiter: „Heute ist
das Geld der Gott der Menschen, und solange sie an diesem Gott hangen
(hängen), sind sie schlecht. Wenn sie aber diesen Gott einmal zum Teufel
jagen, dann kommt der wahre und echte Mensch ganz von selber zum
Vorschein“. Also derselbe Glaube an das Göttliche im Menschen, den man
bei Silvio Gesell so oft als naive übertriebene Schwärmerei verhöhnt
hat.
Wagner kommt dann auf die Nichtswürdigkeit der politischen Parteien zu sprechen: „Die Menschen wissen
um die Ehrlosigkeit unserer politischen Zustände, sehen ein, dass sie
sich zu ihrem Unglück den politischen Führern anvertrauen, halten aber
aus, weil sie wissen, dass sich hinter ihrem Kampf die ungelöste soziale
Frage verbirgt“. Gesells Ablehnung des Parteienunwesens ist
bekannt. Politische Parteien müssen um die Gunst des Stimmviehs buhlen
und sind daher laufend zu Kompromissen gezwungen, Kompromissen, die das
ursprüngliche Ziel immer mehr aus den Augen verlieren. Wer selber in der
Regierung, im Staate sitzt, der schützt diesen Staat, statt an seinem
Abbau zu arbeiten. Als Beispiel nannte mir Gesell im Gespräch die
deutsche Sozialdemokratie, die in der Regierung für die Kriegskredite
stimmte und als Wache vor Mammons Tempel steht.
Wagners Vision der „einen Menschengemeinschaft“
Wagner: „Wir haben nur noch eine
Bewegung, nämlich die soziale, aber diese in einem ganz anderen Sinne,
als unsere Sozialisten sich träumen lassen“. Wagner war Anhänger
von Proudhon, und das Leerstehenlassen von ganzen Palästen in Venedig
bezeichnete er als ein Verbrechen, indem dadurch Wohnungssuchende
ausgeschlossen würden, und, hätte er hinzufügen können, weil dadurch die
Wohnungsmietzinsen herauf getrieben werden. Wagner war nie Kommunist im
heutigen Sinne dieses Wortes, sondern er verstand darunter eine
Menschengemeinschaft geistig-künstlerischer Prägung. Wie er über den
politisch-marxistischen Kommunismus dachte, zeigt folgender Ausspruch:
„Seid ihr töricht oder böswillig genug, die notwendige Erlösung des
Menschengeschlechts von der plumpesten und entsittlichendsten
Knechtschaft gemeinster Materie als gleichbedeutend mit der Ausführung
der abgeschmacktesten und sinnlosesten Lehre, der des Kommunismus, zu
erklären? Wollt ihr nicht erkennen, dass in dieser Lehre der
mathematisch gleichen Verteilung des Gutes und Erwerbes eben nur ein
gedankenloser Versuch zur Lösung jener allerdings gefühlten Aufgabe
gemacht worden ist, der sich in seiner reinen Unmöglichkeit selbst das
Urteil der Totgeborenheit spricht?“
Ich glaube, radikaler hätte selbst Gesell den Kommunismus nicht verurteilen können! Wagner fährt weiter: „Überfluss
und Entbehrung sind die vernichtenden Feinde unserer heutigen
Menschheit. Und alles Streben der Entbehrenden geht nach dem Überfluss“.
Hier möchte ich auf einen Artikel Gesells aufmerksam machen, betitelt „Was ist Luxus?“
Gesell zeigt, wie der Begriff des Luxus stets an der Individualität der
Menschen scheitert: was dem einen Luxus ist, bedeutet für den anderen
Lebensnotwendigkeit. Daher lehnte Gesell eine Luxussteuer als sinnlos
ab. Es gibt nach ihm nur einen Luxus, und den leisten sich
nicht etwa die Kapitalisten in ihren feudalen Villen, sondern die
Arbeitenden aller Berufsklassen. Dieser Luxus heißt: Bezahlen von
arbeitslosem Einkommen. All die Milliarden, die an Dividenden
herausgewirtschaftet werden, die werden ja von den Arbeitenden,
Unternehmern wie Arbeitnehmern, aufgebracht und bezahlt, und diesen Luxus
gilt es zu bekämpfen, den einzigen, der wirklich die Bezeichnung Luxus
verdient. Und es ist wohl diese Art Luxus, den die Entbehrenden lt.
Wagner erstreben: auch endlich reich zu sein, von Zinsen und Dividenden
leben, die anderen arbeiten lassen. Wenn man weiß, wie reich viele der
östlichen höheren Parteifunktionäre sind, dann versteht man wohl die
verbissene Wut, mit welcher von marxistischer Seite gegen die
Freiwirtschaft gekämpft wird.
„Soll der Mensch, diese Krone der
Schöpfung, seine geistigen und künstlerischen Fähigkeiten, ihm von Gott
verliehen, dem starresten, unregsamsten Produkt der Natur, dem bleichen
Metall in knechtischer Leibeigenschaft untertänig sein?“ Dieser
Ausspruch Wagners führt uns unmittelbar an das Zentrum der sozialen
Frage, an das Problem des Geldes, des Fluches, der am Golde haftet.
Darin fühlte sich Wagner eins mit allen Denkern aller Zeiten. Und so
schuf er seinen gewaltigen
Ring des Nibelungen mehr >>
***
Geringfügige Beitragskürzungen sowie Ergänzung der Zwischenüberschriften wurden von der Webredaktion (- wr -) vorgenommen.
Portrait von Richard Wagner: von Caesar Willich (1862)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen